Latz-Rocky, ich hoffe, du bist mir nicht böse, daß ich deine Geschichte kritisiert hab. War irgendwie blöd von mir. Ist ja eigentlich der Reiz an der Sache, daß man nicht weiß, wie sie fortgesetzt wird. Entschuldigung bitte.
Also... ich schreib die Geschichte nachher weiter. Hab auch schon Ideen dazu. Ich verrate schonmal: Alle Latzhosen werden zur Geltung kommen - aber anders, als Sandra sich das denkt...
Hi Mimdu, Nee, ich bin Dir nicht böse wegen Deiner Kritik, warum auch? Die Cordlatzhose und den „Gesinnungswechsel“ der Schwester hatte ich auch nicht in meinem „Drehbuch“, aber warum nicht?
Ich hatte die Reißverschluß-Latzi-Fotos hier im Forum natürlich auch schon gesehen, aber in „freier Wildbahn“ habe ich sie – wenn überhaupt – bisher halt nur bei Klein(st)-Kindern gesehen. Und wenn wir ganz ehrlich sind, ist die Geschichte für die heutige Zeit sowas von unwahrscheinlich, da in Sandras Alter wohl kaum noch jemand Latzhosen trägt. Ich kenne jedenfalls derzeit niemanden, der noch Latzhosen trägt, es recht nicht welche aus Kunstleder...
Sie soll halt Spaß machen zu lesen um die latzfreie Zeit ein wenig zu überbrücken. Und vielleicht schaffen wir es ja auch, konkrete Altersangaben zu vermeiden, dann kann sich jeder Sandra und ihre Schwester so alt vorstellen, wie er/sie es gerne hätte. Und lasst uns die Geschichte jugendfrei halten, aber das sollte wohl selbstverständlich bleiben.
Also viel Spaß beim Schreiben, ich hab‘ auch schon wieder ein Kapitel fertig, welches aber eigentlich viel zu lang und fast schon off-topic ist. Thema ist „Besuch in der Altkleiderfabrik“ – wenn ihr wollt, stell ich den gerne ein.
Am Sonntag besuchte mich Frauke. Sie war meine beste Freundin. Ihr mußte ich natürlich gleich meine neusten Klamotten zeigen. Ich war dick enttäuscht, weil sie gar nicht so begeistert war. "Hmm... ehrlich gesagt, ich find die mit dem Reißverschluß viel besser. Willst du die denn jetzt gar nicht mehr anziehn?" Ich antwortete sofort: "Doch, natürlich!!! Das ist doch immernoch meine Lieblingshose! Aber gefällt Dir diese denn gar nicht? Ich find die ziemlich cool!" - "Doch, doch, aber die andere gefällt mir besser."
Die Latzhose von meiner Englisch-Lehrerin war schon ein ganz besonderes Stück. Als ich sie neu hatte, hatte ich in ihr bei meinen Schulkameradinnen mächtig Eindruck gemacht. Einigen von meinen Freundinnen hatte ich sogar erlaubt, sie mal anzuprobieren. Ich war mächtig stolz auf sie und froh, daß meine Mama und meine Schwester immer gesagt hatten, daß sie mir die Latzhose von Mark wegnehmen wollten. Meine Englisch-Lehrerin lächelte mich immer an, wenn ich in der Hose auftauchte - und das tat ich oft. Seitdem sie mir die Hose geschenkt hatte, hatte ich in Englisch mächtig zugelegt. Ich schrieb keine drein und viern mehr, sondern gute zwein, fast eins. Und mit ihrer Tochter hatte ich mich auch angefreundet, obwohl sie etwas älter war. Auch meine Schwester hatte aufgehört abzulästern. Ihr gefiel die Cordlatzhose total gut. Aber sie traute sich nicht, sie so zu tragen, daß sie jeder sieht. Auf dem Flohmarkt kam sie ja nicht drumherum - ach, ich hab ja noch ganz vergessen, was auf dem Flohmarkt noch passiert war. Als es an dem Tag noch warm war und jeder die Latzhose sehen konnte, rief jemand den Namen meiner Schwester. Sie drehte sich sofort um. Es war eine Freundin aus der Schule. Sofort rief sie: "Hey, was ist das denn für eine tolle Hose! Die ist ja schick!" Meine Schwester wars peinlich, aber die Freundin hörte nicht auf: "Die mußt du öfter anziehen. Das steht dir voll gut!" Naja, aber ob sie das machen würde? Meine Schwester? In Latzhose auf die Straße? Nein! Niemals!
Ich war da mutiger! Trotz der Kritik von Frauke wagte ich mich am nächsten morgen in der neuen Latzhose aus Kunstleder zur Schule. Die Jacke hatte ich nicht angezogen, weil es zu warm war. Ich wollte es wissen. Ich war der Hinkucker! Mehr als ich wollte. Es war echt schon unangenehm. Die Reaktionen waren auch nicht so positiv, wie ich es hoffte. Ich war total geknickt. Ich beschloß, die Hose in der Schule nicht mehr anzuziehen, sondern doch lieber wieder mehr die von meiner Lehrerin. Die paßte mir außerdem nun auch richtig gut.
Der Hammer war am Mittwoch nach dem Flohmarkt. In der großen Pause hörte ich plötzlich die freudige Stimme meiner Schwester. Ich drehte mich um und sah die Latzhose! Meine Schwester hatte tatsächlich die Cord-Latzhose an und ließ sie von ihren Kameradinnen bestaunen. Ich hatte nicht mitbekommen, daß sie die Hose angezogen hatte, weil ich zur ersten Stunde mußte und sie zur zweiten Stunde. Ich war platt. Meine Schwester trägt Latzhose!!! "Ist doch total out - selbst Babys tragen Latzhosen nicht mehr", hatte sie mich aufgezogen! Und jetzt? Jaja! Von wegen total Out! Ihre Freundinnen wollten auch so eine Latzhose haben und sie wollten wissen, wo man sie kriegt... Ja, Viel Spaß, Schwesterherz...
Ja, aber was sollte ich nun mit meiner neuen Latzhose aus Kunstleder machen? Ich hatte sie total in meine Herz geschlossen und wollte sie so gerne anziehen, aber ich wußte nicht wann am besten. So ein Mist!
Zwei Wochen später gabs Disco im Jugendzentrum. Frauke und ich waren beide erst neu in einer Jugendgruppe und waren daher noch nie bei Disco gewesen. Mama und Papa war es recht, daß wir hingehen. Ha! Ich wußte ganz genau, was ich anziehen wollte: Die braune Kunstleder-Latzhose!
Die Hose war der Knaller! Sie kam richtig gut! Alle bestaunten mich, ich wurde gelobt ohne ende. Es war ein megacooles Gefühl. Irgendwann zupfte mich jemand am Ärmel. "Hey, du siehst ja toll aus!" Das Mädel vom Flohmarkt, das die Hose vorher gehabt hatte! Sie freute sich, daß ich die Hose trug. Wir lernten uns kennen und freundeten uns an.
Die folgenden Discoabende verbrachte ich meistens in der Kunstleder-Latzhose. Sie wurde meine Ausgeh-Hose. Manchmal hatte ich aber auch die andere Latzhose mit dem Reißverschluß an. Je nachdem, was anstand. Beide Hosen waren bei den anderen beliebt. Sie wollten auch gern sowas haben. Mir war manchmal, als wär ich die Trendsetterin! Schade, daß mein Papa kein Klamottenhersteller war, sonst hätte er eine große Geschäft machen können (und ich hätte vielleicht mehr Taschengeld bekommen...)
Die Latzhose von Mark konnte ich mittlerweile nicht mehr tragen. Manchmal dachte ich darüber nach, wann Mama wohl mich fragt, ob Marks Latzhose weg kann. Dann überlegte ich, ob ich sie wirklich weggeben will oder als Andenken behalten möchte. Ich überlegte, was wohl mit Marks Latzhose passieren würde, wenn Mama sie wegtut. Hoffentlich dauerte es noch ein Weile bis Mama fragt ...
So, jetzt wird's richtig lang! Viel Spaß beim Lesen!
@Mimdu: Ich hab' den Anfang noch ein bissel angepasst!
Besuch der Altkleiderfabrik
Dienstags Nachmittags war wie immer Gruppenstunde im Kinder- und Jugendzentrum. Weil es schon am frühen Morgen ganz doll regenete, hatte ich mich entschieden, zur Schule meine Kunstlederlatzhose und den dazu passenden Anorak anzuziehen, den wir letzens auf dem Flohmarkt gekauft hatten. Ich wollte es noch einmal zur Schule probieren. Ich liebte diese Latzi, ich hatte sie fast immer an, wenns draußen kühl und regnerisch war. Und natürlich zur Disco im Jugendzentrum. Das beste war jedoch, ich wurde wenn’s regnet nicht nass, und wenn ich mal wieder so richtig schmutzig von Spielen nach Hause kam, nahm Mama einen feuchten Lappen und wische die dreckigen Stellen einfach damit ab. Wie praktisch!
Direkt zu beginn der Stunde fragte uns unser Gruppenleiter, ob wir für Samstag schon was vor hätten. Es wäre nämlich mal wieder Altkleidersammlung und unsere Gruppe sei diesmal drann, die Sachen einzusammeln – wir wären ja inzwischen alt genug dafür. Sonst hatten wir Dienstags in der Gruppenstunde immer nur die Zettel dafür verteilen und in die Briefkästen werfen müssen. Selbst mit Sammeln dürfen, das hörte sich interessant an. Schließlich wollte ich immer schon mal wissen, was mit all den aussortierten Sachen passiert.
Meine beste Freundin Frauke – sie hatte früher auch mal Latzhosen getragen, inzwischen aber keine mehr, fand meine aber auch total cool – und ich schauten uns kurz an und sagten dann ganz spontan „Wir sind mit dabei! Das wird bestimmt spannend. Erzähl mal, wie läuft das denn ab?“ „Wir treffen uns Samstag morgen um 8:00 Uhr hier am Jugendzentrum und dann geht es los. Wir haben zwei LKWs auf die ihr aufgeteilt werdet. Und dann fahren wir durch die Straßen und sammeln die Sachen ein. Anschließend bringen wir die Sachen sofort zum Verwertungsbetrieb, wo wir alles abladen müssen. Die warten dort auf uns.“
„Werden die Sachen da direkt aussortiert?“ fragte ich neugierig. Mama hatte mir mal erzählt, dass sie dort die Sachen, die noch brauchbar sind, aussortieren und im Second-Hand-Shop verkaufen. „Der Rest geht dann durch den Reißwolf!“ sagte sie damals. Und irgendwie hat Mama mich damit neugierig gemacht. So ‘nen Reißwolf würde ich gerne mal live im Einsatz stehen. „Ja“, sagte mein Gruppenleiter. „Die haben Samstags auf und fangen direkt mit dem Sortieren an, sobald wir abgeladen haben.“
Das hörte sich jetzt nun wirklich spannend an. Und obwohl ich Altkleidersammlungen eigentlich hasste wie die Pest – weil meist immer was von mir mit dabei ist, was ich gerne noch behalten hätte – freute ich mich auf Samstag. Die Gruppenstunde war noch klasse: Weil es draußen schüttete, spielten wir drinnen zu sechst Monopoly. Nach der Gruppenstunde regnete es immer noch wie aus Eimern. Meine beste Freundin und ich waren mit den Fahrrädern da. Es war schon dunkel und wir radelten eiligs durch den Regen nach Hause. Während ich halbwegs trocken zu Hause ankam, war sie pitschenass. Wir verabschiedeten uns mit „Bis morgen in der Schule“ und freuten uns gemeinsam auf Samstag.
Ich schellte und Mama machte die Tür auf mit den Worten: „Übrigens, Samstag ist wieder Altkleidersammlung. Die haben gerade die Zettel in den Briefkasten geworfen.“ „Ich weiß“, sagte ich. Wir dürfen am Samstag die Klamotten einsammeln. Mama, darf ich? Meine beste Freundin kommt auch mit!“ „Ich hab‘ den Müllsack schon im Flur stehen, Deine Schwester war schon fleißig und hat ihn zur Hälfte gefüllt. Wenn Du heute Abend noch Deinen Schrank aufräumst und der Sack voll und zugeknotet ist, hab ich nichts dagegen, wenn Du Samstag mit dabei bist.“
„Heute Abend noch? Hat das nicht noch Zeit bis Freitag?“ „Mach’s jetzt noch schnell, wer weiß, ob Du sonst die Woche über noch dazu kommst. Du weißt, wir haben noch einiges auf dem Programm in dieser Woche! Und danach ab ins Bett, gegessen hast Du ja schon vor der Gruppenstunde!“ „Ok, wenn’s denn sein muss!“ Ich schleppte den halb vollen Sack in mein Zimmer und war natürlich erstmal völlig neugierig, was meine Lästerschwester alles entsorgen wollte. Mal sehen, was davon noch wieder bei mir im Schrank landet.“
Also den Sack ausgeschüttet und durchgeschaut, aber nur alles Sachen, die mir entweder nicht passen oder gefallen. Schließlich haben wir einen komplett anderen Geschmack, normalerweise jedenfalls. Zum Glück war ihre schwarze Cordlatzhose, die sie letztens mit auf dem Flohmarkt an hatte, nicht mit im Sack. Zugetraut hätte ich ihr das ja, manchmal ändert sich die Mode bei ihr im Wochenrhytmus, und was gestern noch top war ist heute hopp(s). Das hätte auch schwer Ärger gegeben, aber Mama weiß schon, warum meine Schwester mit ihren Sachen zuerst drann ist.
Nun waren also meine Sachen an der Reihe, es hatten sich einige alte Hosen angesammt, die ich beim letzten mal glatt übersehen hatte. Und erst recht die pinkfarbene Schlaghose von Oma, die kommt jetzt auch mit weg. Die ist zwar noch fast wie neu, aber gemocht hab ich sie nie. Einmal Sonntags bei Oma angezogen, das muss reichen. Ab in den Sack damit und ich freute mich bei der Vorstellung, dass die am Samstag endlich vom Reißwolf zerfetzt werden wird.
Ein großer Stapel Pullis und Sweatshirts vom letzten Winter, die mir nicht mehr passten, hatte sich auch angesammelt. Einige noch gut und brauchbar, andere dreckig, verklebt und kaputt. Und da meine beste Freundin schon größer war, als ich und ich auch sonst so ziemlich die Kleinste in der Klasse und im Freundeskreis war, hatte ich einfach keinen, denen ich die Sachen noch hätte geben können. Somit landeten auch die Pullis im Sack.
Noch was vergessen? Stimmt, da lag noch ganz untem im Fach Marks alte Latzjeans und der alte, rote Kapuzennicki. Ich kramte beides vor, anprobieren brauchte ich sie ja nicht mehr – beides war ja schon am Flohmarkttag zu klein. Ich schaute mir Marks Latzi noch einmal an und stellte dann fest, dass sie am Po nicht nur abgenutzt sondern auch schon durchgescheuert war. Hatte ich garnicht gemerkt. Und wie kommt denn der Fleck auf den Nicki? Sieht aus wie Kugelschreiber.
Am liebsten hätte ich beides noch gerne verwahrt und verschenkt, aber ob die in diesem Zustand noch jemand nimmt? Ich dachte kurz nach, faltete beides dann aber ordentlich zusammen (nachdem ich die anderen Sachen mehr oder weniger einfach so in den Sack geknubbelt hatte) und packte zuerst den Nicki und dann dadrauf die Latzi in den Sack und knotete den dann sofort zu. Ich stellte den Sack wieder in den Flur zurück und wurde ganz traurig: Die Latzjeans und der Nicki waren durch den blauen Müllsack, der bis oben hin vollgestopft war, deutlich zu sehen.
Samstags morgens weckte Mama mich um halb acht – nein wecken brauchte sie mich nicht, ich war schon wach. „Du willst doch wohl nicht den Sack bis zum Jugendzentrum tragen?“ meinte sie. „Nein“, den kannst Du gleich vor die Tür stellen, wir holen den dann mit dem LKW ab.“ Ich zog mich an, da es trocken war zog ich die Reißverschlusslatzi von der Tochter meiner Englisch-Lehrerin an. Sie passte immer noch prima. Unter der Latzi der violette Nicki und darüber meine schwarze Ski-Weste, damit meine Arme frei und beweglich bleiben. Nach dem Frühstück schellte ich bei meiner besten Freundin und wir radelten zusammen zum Jugendzentrum. Dort angekommen warteten die anderen bereits. Meine Freundin und ich hatten Glück, wir erwischten die Tour, die durch unsere Straße geht. Wir durften also unsere Säcke selber einsammeln. Meine beste Freundin wurde plötzlich ganz traurig: „Irgendwie war mein Schrank heute morgen so verdächtig leer! Ich hoffe, die Sachen sind nur in der Wäsche...“
Wir fuhren also durch die Straßen und sammelten säckeweise Altkleider ein bis unser LKW fast voll war. Unser Gruppenleiter fuhr den LKW und wir beide saßen allein hinten mit auf der Ladefläche. Und natürlich passierte es auch mal, dass der ein- oder andere Sack aufplatze und die Sachen lose im LKW hin- und her flogen. Und da wir alleine waren, spielten wir mit den Sachen rum, solange wir Pause hatten und keine Säcke am Straßenrand standen.
Endlich bogen wir in unsere Straße und vor unserer Haustür stand wie erwartet der große blaue Müllsack mit meinen Sachen drinn. Aber mit dem Sack hatte ich ja noch was ganz was spezielles vor, von daher stellte ich ihn griffbereit an die Seite und warf ihn nicht wie sonst bei den anderen Säcken ganz nach vorne. Bei meiner besten Freundin vor der Tür stand übrigens auch ein großer Müllsack.
„Hoffentlich ist da nichts von mir drinn!“, meinte sie. „Schau doch rein!“ sagte ich. „Nee, die Säcke sollen doch möglichst zu bleiben und außerdem will ich nicht., dass die Sachen gleich durch den ganzen Wagen fliegen.“ Ist gut, dachte ich und stellte den Sack neben meinen, und setzte mich drauf. „Rück mal ‘nen Stück,“ sagte sie und ich rutschte weiter durch auf „meinen“ Sack.
Noch ein paar Straßen und der LKW war voll. Ich passte höllisch darauf auf, dass mein Sack nicht zwischen den anderen verschwand. Wir fuhren dann direkt zur Sortieranlage, wo wir den ganzen LKW abladen durften. Wir fuhren auf eine große, langen Halle zu und hielten direkt auf der Wage. 7,5 Tonnen zeigte die an – unser LKW war also voll bis zum Rand. „So, ihr könnt jetzt erst mal ‘ne Viertelstunde pause machen wir warten noch, bis der andere LKW kommt. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch langsam mit dem Abladen beginnen. Da, durch das große Tor müsst ihr durch und dann fragt ihr eine der Frauen, wo die Sachen hin sollen.
Phantastisch, dachte ich – mein Plan geht auf! Freu! „Komm“, sagte ich zu meiner besten Freundin, „wir schnappen jetzt unsere beiden Säcke und fragen mal, ob die nicht direkt aussortiert werden können.“ Ich brannte förmlich darauf zu wissen, was jetzt aus meinen Sachen wird. Wir trugen also unsere Säcke durch das Hallentor und liefen auf eine Frau zu, die einen grauen Kittel an hatte. Sie war etwas älter als Mama und bestimmt hat sie auch Kinder. Mit Krokodilsaugen sprach ich sie an: „Sind sie eine der Sortiererinnen hier?“ „Ja, sagte sie. „Ich bin die Vorarbeiterin hier! Ihr sied bestimmt zum ersten Mal hier, und wollt jetzt wissen, wo ihr die Säcke hinpacken sollt. Da hinten in die Ecke wo noch Platz ist könnt Ihr die Sachen hinwerfen“ „Genau – und wir haben eine ganz, ganz große Bitte: Können Sie diese beiden Säcke hier direkt mal durchschauen? Mich interessier wahnsinnig, wie das mit dem Sortieren hier funktioniert und wir haben noch knapp zehn Minuten Zeit bis wir den LKW abladen müssen!“
„Normalerweise machen wir das ja nicht,“ sagte die Frau. Aber bei Euch zwei Hübschen möchte ich mal ‘ne Ausnahme machen. Kinder dürfen hier nämlich normalerweise nicht mit rein. Wenn jemand fragt, dann sagt einfach, ich wäre Eure Tante. Ich heiße Sylvia“, stellte sie sich kurz vor. „Ich arbeite schon seit zehn Jahren hier, springe zwischen den einzelnen Plätzen hin- und her und schaue, ob alles in Ordnung ist und jeder seine Arbeit macht.“ „Ich heiße Sandra“, sagte ich. „Und ich bin Frauke!“
Ich traute meinen Augen kaum, durch die gesamte Halle lief ein Förderband, welches am Ende der Halle kehrt machte und dann wieder zurück zum Eingangstor ging. „Wir sind halt ein professioneller Großbetrieb mit 100 Mitarbeitern in der Sortierung und in der Verwertung. Wir verarbeiten hier 80 Tonnen Kleidung jeden Monat. Ihr wisst doch schon, was eine Tonne ist?“ „Klar, tausend Kilo“ grinste ich. „So’n Sack wiegt im Schnitt ca. 9 kilo und ist nach genau 60 Sekunden durchsortiert. Das Förderband ist genau 30m lang – 15 in die Richtung und 15 in die andere. Wenn wir also Eure Sachen beobachten wollen, haben wir nicht viel Zeit!“
„Boar geht das schnell bei Euch! Und das ist hier rechts ist bestimmt der Reißwolf, oder?“ fragte ich neugierig. „Genau, der zerreisst jede Minute etwas mehr als 3 kg Altkleider in kleine 2 cm große Stücke.“ Wow, der ist aber schnell!“ sagte ich. Meine beste Freundin schaute ganz gespannt zu. „Am Förderband verteilt stehen alle 50 cm unsere Sortiererinnen und nehmen die Sachen vom Band, für die sie eingeteilt sind. Die Reihe runter sortieren die Sachen aus, die nochmal verwendet werden und im Shop landen. Das ist aber in etwa nur 10%. 40% werden von den Frauen auf der gegenüberliegenden Seite aussortiert und von 10 Reißerinnen im Hintergrund zu handlichen Putzlappen zerschitten. So, und nun Eure beiden Säcke aufs Förderband und los gehts.“
„Ich erklär Euch noch eben schnell grob die Stationen, die Euch interessieren können: Zuerst werden Hosen rausgesucht, dann Kleider und Röcke. Bei den Hosen haben wir z.B. Stationen für Jeans, Cordhosen und Stoffhosen, jeweils für Frauen, Männer und Kinder. Wenn also gute Jeanshosen von Euch dabei sei sollten, dann passt an Station 11 – 13 besonders gut auf, da wird die Kinderkleidung sortiert. Danach kommen Sweatshirts und Pullis, also Station 25-27 und zum Schluß noch Jacken, Anoraks und Schuhe. Auf der anderen Seite werden die Putzlappen rausgefischt, da nehmen wir aber im Moment nur Pullis, Sweatshirts, Handtücher und Bettwäsche. Der Rest – immerhin noch fast die Hälfte – landet dann im Reißwolf. Aber den erklär ich Euch dann gleich. Wenn ihr Fragen habt, stellt die nach der Runde, die Minute ist schnell rum.“
Das Förderband lief, ich wuchtete unsere Säcke aufs Band und die erste Frau schnitt sie mit einem Teppichmesser auf. Sie warf den leeren Säcke in einen Container und verteilte die Sachen gleichmäßig aufs Band. Im ersten Sack war aber zum Glück nur alte Bettwäsche und Handtücher. Wir rannten vor zu Station 11 wo eine andere Frau sogleich meine pinkfarbene Schlaghose vom Band nahm, kurz anschaute und in einen weiteren Container warf. „Die kannst Du nachher wieder im Second-Hand-Shop bei uns kaufen – Kilopreis 8,50 Euro.“ Schade, doch nicht Reißwolf, dachte ich. Blitzschnell fischte sie noch zwei weitere Hosen vom Band, die ebenfalls im Container landeten.
Ich hatte natürlich die ganze Zeit meine Latzi im Blick. „Kinderjeans sind erst am Station 13 drann!“ Alles ging irgendwie wahnsinnig schnell. Die Frau an Station 13 beachtete meine normalen Jeans offenbar gar nicht – wahrscheinlich hatte sie auf den ersten Blick die durchgescheuerten Knie erkannt. Doch dann ergriff sie plötzlich meine geliebte Latzjeans. Gerettet – dachte ich. Die Frau sah sich meine Hose grad mal zwei Sekunden von vorne und dann nochmal zwei von hinten an, doch dann warf sie sie wieder aufs Förderband zurück.
Ich erschrak mich fast zu Tode: Meine Latzi wieder auf dem Förderband und keine Station mehr für Kinderhosen. „War das Deine Lieblingshose?“ fragte Sylvia. „Ja“, sagte ich traurig. „Das war’s dann wohl...“ Sylvia nickte. „Wenn Du 10 Jahre hier arbeitest, bleibt kein Platz mehr für Gefühle. Das geht auch schon mal was hops, was vielleicht doch noch gut war. Die Frauen müssen hier blitzschnell entscheiden, sonst schaffen sie ihre Quote nicht und es geht zu viel in den Reißwolf. Aber ich schau gleich mal wegen der Latzhose.“
Bei den Pullis schaute die Sortiererin kurz durch, offenbar war nichts brauchbares dabei. Meinen roten Kapuzennicki nahm sie kurz in die Hand, hielt ihn hoch und sagte zur Kollegin, „Guck mal wie niedlich, Nickis hatten wir lange nicht mehr. Aber schade, der hier ist mit Kuli versaut!“ und schon war auch der Nicki wieder auf dem Band.
Noch 30 Sekunden für den Rückweg als eine von den Putzlappensortierinnen meine Pullis von Band griff. „Pullis sind sehr gute Putzlappen – wenn Du magst, gehen wir gleich noch zu den Reißerinnen.“ Gerne – ich wollte ja schließlich wissen, was aus meinen Sachen wird. „Keine Angst – die sind gleich noch da, die sind nicht ganz so schnell“. Dann griff Sylvia meine Latzjeans und begutachtete sie zusammen mit mir.
„Latzhosen in der Größe sind total selten geworden, höchtens noch zwei oder drei pro Woche. Und die sortieren wir seit ein paar Monaten auch wieder aus – wir haben im Shop eine Stammkundin die kauft immer welche für ein Kinderheim in der Ukraine. Die hat mich sogar schon mal drauf angesprochen und gebeten welche für sie zur Seite zu legen.
Früher sah das noch ganz anders aus, wir hatten wir ‘ne ganze Zeit lang hunderte pro Monat, die sich überhaupt nicht mehr verkaufen liessen. Selbst für 50,-- Cent sind wir die nicht mehr los geworden. Sofort kam die Order: Keine Latzhosen mehr für den Shop! Von da an wanderten selbst fast neue und gut erhaltene Exemplare in Reiswolf,weil sie keiner mehr haben wollte. Das tat selbst mir in der Seele weh!“
Mit Deiner hier muss was nicht in Ordnung sein, sonst wäre sie nicht wieder auf dem Band gelandet. Guck mal hier, am Po, da ist sie durchgescheuert – das mag selbst ein Kind in der Ukraine nicht mehr anziehen. Und da bei uns kaputte Jeanshosen im Reißwolf landen, hat die Sortiererin alles richtig gemacht und sie wieder aufs Band geworfen. Im Shop kontrollieren wir zwar auch noch mal – aber es ist immer ärgerlich, wenn dann da Sachen wieder zurück müssen.“
Wir gingen zu den Reißerinnen – und Sylvia nahm meine Latzi mit. Was hatte sie wohl vor? Hier werden also die Pullis und Sweatshirts zu Putzlappen verarbeitet. Auch die Frauen sind ziemlich fix. Sie saßen an einer Maschine, die merkwürdig aussah – fast so wie Papa’s Kreissäge im Keller. Nur viel kleiner. Ruck zuck war ein Pulli nach dem anderen in seine Einzelteile zerlegt. Und in der Tat, Sylvia hatte recht, so schnell waren sie dann doch nicht. Meine Pullis lagen alle noch auf dem großen Haufen. „Nimm den roten hier mal als nächtes“, sagte Sylvia zu der Reißerin.
Die Frau griff ohne eine Mine zu verziehen nach links und nahm meinen roten Kapuzennicki. Als erstes zog sie mit einem kräftigen Rück die Kordel aus der Kapuze und warf sie in einen Eimer mit andern Kordeln. Dann war die Kapuze selber drann – ein Schnitt mit der „Kreissäge“ und sie war ab und landete in einem großen Behälter. Dann die Ärmel – erst links, dann rechts – ebenfalls in den gleichen Behälter. Zum Schuß noch Bauch- vom Rückenteil getrennt beides in den anderen Behälter geworfen und schon war mein Nicki fein säuberlich zerlegt und wartete auf sein nächstes Leben als Putzlappen.
Wir gingen wieder zum Förderband zurück und einen Moment später standen wir auch wieder auf Höhe des Reißwolfs. Von meinen Sachen war schon nichts mehr zu sehen. Die Klamotten fielen direkt vom Fließband aus in einen großen Trichter der mindestens einen Meter tief war. „Das ist aus Sicherheitsgründen damit niemand reingreift“, sagte Sylvia, die immer noch meine Latzjeans in den Händen hielt. „Untem im Keller gehts dann weiter, wenn die Stofffetzen dort ankommen, landen sie in einem großen Behälter. Wenn der voll ist, werden sie zu einem Ballen zusammengepresst und dann verkauft. Da werden dann z.B später Dämmmaterialen usw. draus gemacht oder Industrieputzlappen. Oder Hutablagen fürs Auto.“ Das fand ich wiederum witzig und ich fand es toll, dass aus meiner alten Latzi noch was sinnvolles gemacht wird. Meine Latzi als Hutablage im Auto stellte ich mir lustig vor.
„Hätte Deine Mama Deine alten Sachen in den Müll geworfen, wären sie vermutlich im Nachbarort auf der Deponie gelandet und hätten dort die Umwelt stark belastet. Von daher macht es durchaus Sinn, auch kaputte Sachen in die Altkleidersammlung zu werfen. Magst Du sie selber reinwerfen oder soll ich?“ sagte Sylvia sehr gefühlvoll. „Darf ich?“ „Na klar!“ „Pass aber auf, dass Du nicht mitgerissen wirst!“ „Mach ich!“
Spannend, was da zuvor noch so alles noch auf dem Band lag und in den Trichter fiel. Ich schaute in den Trichter und sah vier große, rotierende Wellen, wo die Klamotten in kürzester Zeit zermahlmt wurden und auf Nimmerwiedersehn verschwanden. „Da sind Beißzähne aus Stahl drann – so heißen die!“ Den ohrenbetäubenden Lärm des Reißwolfs nahm ich erst jetzt wahr. Ich wartete einen Moment ab und versuchte einen passenden Augenblick zu erwischen wo das Förderband nicht so voll war. Ich hielt die Latzi an den Trägern fest und liess sie lang herunterbaumeln. In der Mitte über dem Trichter liess ich sie dann los, schaute in den Trichter hinein und sah wie meine Latzi langsam in den Beisszähnen der rotierenden Wellen verschwand. Mir kam das vor wie eine Ewigkeit obwohl der Spuk schon nach ein paar Sekunden sein Ende hatte und von meiner Latzi nichts mehr zu sehen war. Schon fielen die nächsten Sachen vom Transportband in den Trichter und wurden zerrissen. Ich schaute noch einen Moment hinein, wendete mich dann aber ab und ging traurig mit Sylvia und Frauke – die die ganze Zeit sprachlos neben mir stand – in Richtung Ausgang.
„Habt Ihr noch Fragen?“ „Ja, was macht Ihr denn mit Lederklamotten?“ fragte ich neugierig. „Für Leder und Schuhe haben wir auch eine Station, da wird erstmal alles rausgefischt und anschließend sortiert. Die guten Sachen kommen in den Shop, die schlechten einmal am Tag Abends in den Reißwolf. Stoff und Leder mischen ist nämlich schlecht. Warum fragst Du?“ „Weil ich ‘ne total coole Kunstlederlatzhose mit passendem Anorak habe. Beides passt mir zwar noch prima, ich hoffe auch noch nächsten Winter, aber wenn der irgendwann zu klein ist, wird der wohl auch hier landen!“
„Wenn Du gut darauf aufpasst, und die Hose keine allzu großen Macken hat versprech ich Dir, dass wir sie mit in die Ukraine geben! Du trägst wohl noch gerne Latzhosen, oder?“ „Natürlich sagte ich – und machte stolz den Reißverschluß von meiner Thermoweste auf.“ Sylvia sah meinte alte Reißverschlußlatzi und sagte „Ja ne, is klar! Die sieht ja auch total klasse aus. Pass gut auf sie auf – Du hast ja gesehen, was daraus wird, wenn sie kaputt ist!“ Ja, hatte ich, aber warum musste Sylvia das jetzt nochmal extra erwähnen?
Ich schaute auf die Uhr – waren wirklich erst 15 Minuten rum? Mir kam das vor wie eine Ewigkeit. Ich war total beeindruckt von dem was ich gesehen habe! Zu Hause werde ich einiges zu erzählen haben! Da kam auch schon mein Gruppenleiter in die Halle – der andere LKW sei da, wir könnten jetzt mit dem Ausladen beginnen.
Wir durften nochmal in die Sortierhalle. Diesmal sollten wir helfen und bekamen Arbeitskleidung. Als ich meinen Platz suchte, hörte ich "Guck mal!". Meine Schwester!! In der Hand hielt sie... oh nein! Meine Kunstlederlatzhose! "Hey, gib her!" rief ich und rannte zu ihr hin. Sie rannte weg, ich rannte hinterher. Durch die Container, über Kleiderberge, sogar über die Bänder tobten wir, ich kriegte sie ein. Aber sie warf meine Kunstlederlatzhose einer Reißerin zu. Ich schrie "NEIN!!!" und rannte zur Reißerin, die mich angrinste. Sie warf die Hose zur nächsten Reißerin, ich hinterher... "San-draaa San-draaa!!!" hörte ich.
Jetzt hielt meine Schwester meine Reißverschlußlatzhose hoch. "NEIN!!!!" und wieder die große Jagd. Diesmal endete sie beim großen Trichter. Meine Schwester stand dahinter, ich davor. Sie hielt die Latzhose an den Trägern über den Trichter, so daß ich sie schön von vorne sehen konnte. Meine schöne Hose!! "NEEEINNN!!" schrie ich verzweifelt und versuchte sie zu greifen. Meine Schwester zog sie lachend weg. Ich rief "GIB HER!!!" Sie lachte hönisch und warf sie mir zu. Aber so, daß ich sie nicht fangen konnte. "NEEEINN!!" Ich schrie wie am Spieß und starrte nach unten, wo die Reißzähne langsam meine schöne Reißverschlußlatzhose in lauter Fetzen zerrissen. Der Anblick von dem, was sich da unten abspielte, mag ich nicht beschreiben. Er widerte mich so an, daß ich mich fast übergeben hätte. Stattdessen schrie ich den ganzen Laden zusammen! Ich war völlig fertig mit der Welt, und vor allem mit meiner Schwester!
Die war an allem Schuld! Ich ging wütend auf sie los und prügelte voller Wut auf sie ein. "SANDRA!" rief sie. "Hör auf! SANDRA!!" immer wieder, aber ich schlug weiter! Dann spürte ich plötzlich kaltes Wasser im Gesicht. Ich hielt inne und starrte sie an. Was war denn jetzt? Mein Herz raste! Ich bemerkte die Schminke in ihrem Gesicht. "Hey, Kleine, was ist denn mit dir los!?" Langsam bemerkte ich, daß ich mich nicht in der Halle befand, sondern in meinem Zimmer. "Alles in Ordnung?" Mein Hals war ausgetrocknet, mein Kopf dröhnte und ich zitterte am ganzen Leib. Mir war schlecht! Ich wußte gar nicht, was los war. "Meine Latzhosen!!!" rief ich ängstlich. "Deine Latzhosen?", fragte sie verwundert, drehte sich aber sofort um und gab mir erst die eine, dann die andere. Ich umklammerte sie fest und begann zu heulen. Nie wollte ich die mehr hergeben! Nieee mehr!!! "Hey Kleine!" sagte meine Schwester mitleidsvoll und nahm mich in den Arm und streichelte mir über den Rücken, um mich zu beruhigen. Offenbar war sie gerade aus der Disko gekommen und hatte mich schreien gehört. Als ich mich endlich etwas beruhigt hatte, reichte sie mir ein großes Glas Wasser. Ich trank. "Geht's wieder?" fragte sie. Ich nickte. "Was war denn eigentlich?" fragte sie mich.
Ich erzählte ihr meinen Traum. Mir wars peinlich. Sie meinte lächelnd: "Ich weiß, ich bin manchmal ziemlich gemein zu dir. Aber sowas Fieses würde ich dir niemals antun. Ich weiß doch selbst wie das ist. Mama hat mir auch mal ne Latzhose weggenommen und in den Müll getan, da war ich 7. Die Hose hab ich sehr geliebt. Sie war aus knallrotem Knautschleder und sah sonst so aus wie die Hose von deiner Lehrerin. Was hab ich geheult damals." Ich schaute sie an und drückte sie leicht. Sie sagte: "Ich bin übrigens ganz beeindruckt, daß du die Jeanslatzhose von Mark überhaupt weggegeben hast und dann auch noch selbst in den Reißwolf geworfen hast. Ich hätte das niemals gekonnt." Ich schluckte und sagte: "Mich wundert das auch. Ich hätte den ganzen Tag heulen können!" Sie streichelte mich am Arm. "Ach, Sandra..."
Ich fragte: "Hab ich eigentlich wirklich um mich geschlagen?" Meine Schwester lächelte: "Du hast ganz schön zugehauen. Aber geht schon." Ich entschuldigte mich. Sie sagte: "Kein Problem. Was du da heut mittag alles erzählt hast, ist irgendwie ganz schön heftig. Kein Wunder, daß du davon schlecht träumst. Hab mich ja so geärgert, daß ich meinen gestreiften Pulli, den ich immer so gern mochte, mit in den Sack getan hab. Kann den Gedanken, daß sie ihn zu Putzlappen gemacht oder vielleicht geschreddert haben, immernoch nicht ertragen." - "Haben sie aber nicht! Ist in den Shop gekommen." - "Echt?" - "Ja, Ich habs gesehen, wie sie ihn rausgeholt haben", berichtete ich meiner Schwester. Sie war sehr erleichtert: "Puh! Trotzdem! Die kriegen von mir nichts mehr! Kein Stück! Ich hab mich gleich nach dem Essen bei Ebay angemeldet! Ich werd meine Sachen nur noch verkaufen. Der ganze Wohltätigkeitsscheiß ist doch alles nur Lüge!" Ich schwieg. "Und eines versprech ich Dir, Sandra! Diese Cordlatzhose..." oh, sie hatte ja die Latzhose an - in der Disko! Schwester! Bist du krank? "... die kriegst DU später mal. Das hab ich mir schon lange vorgenommen." Ich freute mich. Sie fügte hinzu: "Ist doch Ehrensache! Und wenn dir mal jemand deine Latzhosen wegnehmen will, spring ich dir zur Hilfe! Versprochen! Bin ja schließlich deine Schwester!". Ich hatte meine große Schwester plötzlich total lieb.
"Übrigens, weißt du was heut passiert ist?", strahlte mich meine Schwester plötzlich an. Ich war neugierig. "Hab heute einen total netten Typen kennengelernt." Ich machte große Augen. "Bist du verliebt?" Ihre Augen leuchteten. "Najaa ... ein bißchen." Und dann erzählte sie mir, wie die beiden sich kennengelernt hatten. Ich verschlang jedes Wort. War selbst ja noch recht jung und wollte genau wissen, wie das so ist. Und von wem kann mans besser lernen als von der frisch verliebten großen Schwester? Mein Altkleider-Albtraum war vergessen, ich dachte nur noch, wie schön es doch wär, mich auch mal zu verlieben. Vielleicht sollte ich nächsten Samstag mit Frauke auch mal zur Disko gehen. Au ja! Das müssen wir unbedingt machen! Vielleicht seh ich dann ja auch Schwesters Lover ... mit diesen schönen Gedanken schlief ich wieder ein... ... und träumte von süßen Jungs... *kicher* ... ähem...
Am Sonntag brannte ich darauf, Frauke von meinem Albtraum und der großen Liebe von meiner Schwester zu erzählen. Aber leider mußte sie zu ihren Großeltern fahren und so telefonierten wir erst am Abend miteinander. Wir beschlossen, Samstag in die Disko zu gehen. Frauke war auch ganz heiß darauf und wollte sich unbedingt meine Kunstlederlatzhose leihen. Ich wollte das nicht so gern, aber ich konnte sie nicht davon wegbringen.... naja, so sagte ich ja. Im Bett grämte ich, weil ich ja gesagt hab...
Ich machte kurz die Augen zu, nicke einen Moment lang ein und war kurze Zeit später wieder wach - hellwach und ich konnte einfach für den Moment nicht mehr einschlafen. In Gedanken gingen mir die vielen Erlebnisse der letzten Tage und Wochen nochmal durch den Kopf. Was Klamotten angeht, war ich schon von jeher etwas eigenwillig – aber im positiven Sinne. Ich liebte es praktisch, schlicht, einfach und preiswert – während manche schon im Kindergarten in den – aus meiner Sicht – unpassensten und teuersten Sachen erschienen.
Ich war da anders, vor allem – ich brauchte nicht viel. Und erst recht nicht teuer. Neu musste es auch nicht immer sein. Ob es Angst vor Mama war, was teures beim Spielen kaputt zu machen oder ob ich es genoss, dass ich das Geld für andere – sinnvolle – Dinge ausgeben konnte, ich weiß es nicht. Ich war einfach so, und was die anderen sagten, störte mich eigentlich recht wenig. Aber so im Nachhinein betrachtet war Tag, an dem ich meine Kunstlederlatzhose zum ersten Mal in der Schule an hatte, doch echt hart.
Frauke hatte mich ja schon vorgewarnt, aber an dem Tag hätte ich doch wirklich besser was anderes angezogen. Es fing schon vor der ersten Stunde an, dass ein paar wenige Jungs mich häselten. „Guck mal, wie läuft die denn rum“ war noch das harmloseste, was ich zu hören bekam. „Jetzt fängt die aber völlig an zu spinnen – sowas trägt doch kein Mensch mehr.“ Sie riefen „Baby, Baby, Baby“ – wobei ich „Babe“ ja noch cool gefunden hätte. Andere Jungs aus meiner Klasse schauten mich hingegen total süß an und fragten ob sie mal anfassen dürften...
Am schlimmsten war jedoch das Umziehen vor der Sportstunde: 15 kreischende Mädels im Chor „Zieht der Sandra die Lederhose aus, Lederhose aus, Lederhose aus...“ Und schon versuchte das erste Mädel mir die Schnallen vom Latz loszureißen. Ich konnte gerade eben noch auf die Toilette flüchten, wo ich mich heulend einschloss. Sowas hatte ich noch nie erlebt. Ich hatte ja schon öfters mal was ausgefallenes zur Schule an, aber sowas war noch nie vorgekommen. Das war echt die Hölle.
Als der Sportunterricht begann saß ich immer noch heulend auf dem Klo. Meine Sportlehrerin kam in die Umkleidekabine und brüllte mich an: „Sandra – kommst Du jetzt auch endlich zum Unterricht!“ Weinend kam ich raus, zog schnell meine Latzi und meinen Elch-Pulli aus und warf beides wütend in die Ecke. Sprintershorts und T-Shirt hatte ich ja wie gewöhnlich unter Latzi und Pulli an, also rannte ich direkt in die Turnhalle.
„Beeil Dich – wir wollen anfangen“, schrie meine Lehrerin mich an. Boar, was war die sauer. Aber ich konnte ja nix dafür. Als ich einlief standen alle auf und sangen „Baby Sandra – Baby Sandra – Baby Sandra!“ So hatte ich meine Klasse noch nie erlebt. War ich mit der Lederhose etwa zu weit gegangen? Offensichtlich wohl schon.
Nach dem Sport gings dann nahtlos weiter: Andrea, die schlechteste in der Klasse und schon einmal sitzen geblieben, rannte als erste wieder in die Umkleidekabine zurück. Sie griff sich meine Lederhose und schrie: „Igitt, wem gehört denn der Müll hier?“ und warf die Latzhose in die Luft. Ein anderes Mädchen fing sie auf und rief „Und kackbraun – iiii – wie schei... Lasst uns Schweinchen spielen!“ Und schon warfen sie meine Lederhose reihum, jede fing sie genau einmal auf, begutachtete sie kurz und war sie dann wieder in die Menge bis die letzte lachte „So, ab in den Müll damit!“ – und warf sie in den Abfalleimer, der zum Glück sauber und leer war. Nur Frauke – die immer wieder vergeblich versuchte, der aufbrachten Mob zu beruhigen, hatte sich nicht an dem Spielchen beteiligt.
„Lass Dich von denen bloß nicht fertig machen, die machen doch nur Spaß. Jeder ist mal drann, ich war’s auch schon. Die haben doch nichts gegen Dich!“
„Ach nee, gegen mich vielleicht nicht – aber gegen meine Lederlatzi!“ sagte ich traurig. „Darf ich die in Deinen Rucksack packen? So geh‘ ich jedenfalls nach der Pause nicht mehr in die Klasse zurück! Und den Pulli auch!.“ Auf einmal schämte ich mich wieder, genau so wie an dem Tag, als wir meine Englisch-Leherein im Supermarkt trafen.“ „Geht in Ordnung“, sagte sie und wir gingen über den Hof in die große Pause.
Aber wenigstens stand Frauke zu mir. „Ich find Deine Latzi cool. „Dann zieh Du sie doch an und blamier Dich vor der Klasse.“ „Würde ich ja gerne, aber weißt Du, warum ich zwischendurch mal auf Toilette musste?“ „Nee, warum denn?“ „Ich musste sie einfach mal anprobieren – ist ja doch rattenscharf das Teil. Nur leider ist sie mir viel zu klein. Das einzige, was die noch toppen kann, ist Deine Reißverschlusslatzi.“ „Du hast sie anprobiert? Und Du würdest die also anziehen, wenn sie Dir passen würde?“ „Na klar!“
Nach der Pause ging ich in T-Shirt und Turnhose in die Klasse zurück. Jubelnder Beifall der gesamten Klasse, sie hatten was sie wollten – mich kleingekriegt. Mich, die sonst nie aufgibt. Die sich nie fertig machen liess, sass plötzlich frierend in der zweiten Reihe.
Wir hatten dann English – meine Englischlehrerin hatte mich morgens schon gesehen und erstaunt zu mir rübergelächelt. Was würde sie wohl gleich im Unterricht sagen, dachte ich. „Ist Dir nicht kalt?“ fragte sie. „Warum hast Du denn Dein Sportzeugs noch an? Und wo ist denn Deine tolle Leder-Latzjeans, die Du heute morgen an hattest, abgeblieben?“
Die Jungs in der Klasse waren ganz still – nur die Mädels kicherten sich einen ab. „Was gibts denn da zu lachen?“ „Och – wir hatten gerade unseren Spaß in der Sportstunde!“ meinte Andrea. „Zu Anfang haben wir gesungen „Zieht der Sandra die Lederhose aus...“ Am Ende der Stunde haben wir mit dem Teil „Schweinchen“ gespielt. Die letzte von uns hat sie dann in den Mülleimer der Umkleiderkabine geworfen. Der war aber ganz sauber... !“ Großes Gelächter.
„Ihr alle?“ fragte meine Lehrerin. „Nee, nicht alle – Frauke wollte uns immer davon abhalten, aber wir haben doch nur Spaß gemacht.“ „Jetzt sag ich Euch mal was“, sagte meine Lehererin böse: „Hier wird keiner wegen seinen Klamotten oder sonst irgendwas anderem gemobbt – ist das klar! So wir ihr manchmal rumlauft, hätte ich meine Tochter niemals auf dem Haus gehen lassen. Aber hab‘ ich Euch deswegen einmal dumm angemacht? Gab’s jemals ‘nen Spruch dafür oder ‘ne schlechte Note? Nein, find ich nicht gut was ihr da mit Sandra macht.“
„Also, drei Dinge: erstens – Ihr entschuldigt Euch jetzt bei Sandra und versprecht Ihr, dass das nie wieder vorkommt und sie zur Schule das anziehen kann, was sie mag ohne dass ihr sie ärgert, zweitens – Sandra, Du ziehst Deine Sachen wieder an und drittens schreiben alle von Euch – mit Ausnahme der Jungs, Sandra und Frauke bis zur nächsten Stunde einen Aufsatz mit Thema „Warum ich meine Mitschüler nicht wegen Ihrer Kleidung mobben darf. Auf Deutsch natürlich, in Englisch sind wir ja noch nicht so weit! Und jede von Euch muss es vorlesen!“
Und was dann kam, damit hatte ich nicht gerechnet: Es standen doch tatsächlich alle nacheinander auf, kamen auf mich zu, entschuldigten sich und machten mir Mut, die Sachen wieder anzuziehen. Eine von ihnen brachte es auf den Punkt: „Wir geben alle viel, viel Geld für Klamotten aus um gut auszusehen, und Du schaffst es immer wieder mit Deinen abgefahrenen Billigklamotten die Du von anderen geschenkt bekommst oder die vom Flohmarkt sind uns zu provoziehen und die Jungs auszuspannen. Da ist uns heute einfach mal die Geduld geplatzt und die Sicherung durchgebrannt! Sorry, kommt nicht wieder vor...“
Geld genug hatten wir zu Hause ja auch, aber viel Geld für teure Klamotten auszugeben war halt nicht mein Stil. Klar gab’s auch manchmal von Mama oder Oma ein sündhaft teures Teil geschenkt. Aber gemocht habe ich diese Sache meist nie – von Ausnahmen mal abgesehen, wie den dünnen, cremefarbigen Cashmere-Pulli, den ich wahnsinnig gerne zur Disco mitanziehe.
Und am Donnerstag vor der Altkleidersammlung hatte ich mich mal wieder getraut, und siehe da, alles friedlich, keine dummen Sprüche und nur die Jungs in meiner Klasse schauten mir hinterher. Ich war sichtlich erleichtert, glücklich und zufrieden. Es war, als hätten sie jetzt meinen Stil endgültig akzeptiert.Wobei ich schon Angst hatte, dass mich jetzt jeder kopiert. Ich wollte nämlich bleiben wie ich bin – einzigartig. Jetzt im Spätherbst werde ich sie wohl wieder regelmässig zur Schule anziehen. Mal sehen, was von den anderen so an neuen Klamotten kommt.
Meine beste Freundin Frauke war es übrigens, die mir in der Situation am meisten Mut gemacht hat. Sie war auch die jenige, die mich überredet hat, sie weiterhin und auch zur Disco anzuziehen. „Dein Klamottengeschmackt ist nun mal sehr provokativ“, meinte sie. „Und das anderen die Mädels mit Ihren teuren Jeans und Markensweatshirts – die sie oft nur zwei, dreimal anziehen, sauer sind, wenn Du ihnen mit Deiner 15,-- Euro Kunstlederlatzi die Show stiehlst, kann ich sogar verstehen! Aber ich bin da genauso wie Du – es kommt doch viel mehr auf die inneren Werte an!“, sagte sie. Und den Spruch sollte ich fortan noch öfters hören.
Die Show stehlen und die Jungs anmachen – nee, da hatte ich ja nun garnicht drann gedacht. Waren die Jungs denn wirklich so scharf auf mich? Einige guckten zwar etwas intensiver, wenn ich meine Reißverschluss-Latzjeans an hatte, aber dem hatte ich nie besondere Bewandtnis zukommen lassen. Und dass die Jungs mich heute morgen unschwärmten fand ich natürlich cool. Aber dass sich einer von denen sich ausgerechnet wegen meiner Klamotten in mich verknallen könnte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
In der Disco waren die Erfahrung durchweg positiv – die Mädels aus der Klasse gingen da prizipiell nicht hin, von daher konnte ich mich nochmal wagen, sie dort anzuziehen. Denn die Mädels dort hatten auch alle mehr oder weniger einfache Klamottten an – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen.Vor allem waren die alle viel lockerer drauf. Ich mochte meine Latzhosen halt immer noch und ich vor allem möchte sie auch zeigen. Aber nicht deswegen gemobbt werden! Die Jungs jedenfalls waren total begeistert – und erst recht das Mädel, was sie zuvor getragen hatte. Die war richtig glücklich, mich so wiederzusehen.
„Die passt Dir ja richtig gut – ‘nen bissel groß zwar noch, aber sieht toll aus. Ach, und umgekrempelt hast Du sie auch noch, genauso wie ich damals. Ich bin richtig froh, dass Du die genommen hast. Wer weiß, wo sie sonst hin gekommen wäre.“ „Ja, ich find die auch klasse“ sagte ich. „Gab zwar letztens Zoff mit den anderen Mädels in meiner Klasse, weil sie dachten, ich wollte ihnen die Jungs ausspannen – aber hat sich alles wieder beruhigt. Mal sehen, vielleicht ziehe ich sie auch demnächst mal wieder zur Schule an!“
Oder auch im Sortierbetrieb. Was ich dort erlebt hatte, war total beeindruckend für mich. So heftig, dass ich Albträme hatte. Und schließlich bekam ich Gewissensbisse wegen Marks alter Latzjeans. Natürlich hatte Sylvia recht, man hätte sie wirklich niemandem mehr anbieten können. Auch keinem Kind in der Urkaine! Basta, dachte ich und versuchte mich wieder zu beruhigen. Vielleicht hätte ich sie doch wieder mitnehmen oder wenigsten die Schnallen abmachen sollten. Ich weiß nicht. Ach was solls...
Müde vom ganzen Nachdenken schlief ich ein. "Hallo Frauke! ", rief ich. Sie war auf der Tanzfläche in der Disko und hatte eine viel zu kleine dunkelbraune Kunstlederhose an und einen Pulli drüber. Aber weder hörte noch sah sie mich. Und sie tanzte eng umschlungen mit Maurice, einem Jungen aus meiner Klasse, der komischerweise seit ein paar Wochen unbedingt in der Reihe hinter mir sitzen wollte. Ein total süsser Kerl, etwas älter als ich aber super lieb. Aufmerksam und was Klamotten angeht, ähnlich gestrickt wie ich. Das fand ich besonders faszinierend an ihm!
Und dieser Kerl tanze auf einmal mit Frauke, meiner besten Freundin - ich möchte es nicht glauben. Sie hatte sich also meine Kunstleder-Latzhose nur geborgt, um ihn mir auszuspannen. Tolle beste Freundin! Dabei hätte ich doch so gerne... Ich sah, wie Maurice langsam seine Hände unter Frauke's Pulli schob und Frauke ihn leise anhauchte "Was machst Du?" - "Och - öhm, nichts eigentlich. Wollte nur mal schauen, ob das auch eine Latzhose ist, so wie die von Sandra!" "Ach so!", nickte Frauke und beide tanzten eng umschlungen weiter.
Sie tanzten noch den ganzen Abend weiter, er gab' ihr gentlemen-like auch noch 'nen Drink an der Bar aus und nach der Disko liefen beiden Hand in Hand nach Hause. Er brachte sie bis nach Hause und verabschiedete sich von ihr mit einem dicken...
Plötzlich hörte ich laut und deutlich eine Stimme: "Es ist sieben Uhr dreißig - hier ist der Norddeutsche Rundfunk mit den Nachrichten..."
ich hatte übelste Langeweile. die woche über hatte ich mir eine erkältung eingefangen, und war nicht in die Schule gegangen. mittlerweile fühlte ich mich zwar wieder fit, aber Mama bestand darauf, dass ich das wochenende zuhause bleibe, und mich auskuriere. frauke war zwischenzeitlich mal bei mir, und hatte mich nach meinem braunen kunstlederanzug gefragt. eigendlich wollte sie darin mit mir zusammen in der disco feiern gehen, aber ich dürfte ja nicht mit. deswegen ging sie alleine.
zuerst war ich böse auf frauke, ich fand es frech, dass sie sich amüsiert, während ich zuhause festsaß. aber es wäre ja auch von mir gemein zu verlangen, dass sie nur wegen mir zuhause bleibt. der gedanke, dass frauke in meinem braunen kunstlederanzug dabei ist, auf der tanzfläche mit einem jungen zu flirten machte mich richtig rasend. mama hin oder her, ich musste einfach hinterher.
zum glück hatte mama mittagsschicht, vor 11.00 uhr würde sie nicht heimkommen. es war klar, dass ich die reißverschlusslatzi in der disco anzihen würde. dazu meinen lilanen kapuzensweater und weil es regnete oben drüber die adidas regenjacke, die mama auf dem flohmarkt für meine schwester gekauft hatte.
bei der suche nach dem teil fand ich ein rotes bauchpäckchen. es war meine rote regenjacke, die ich schon bestimmt ein gutes jahr nicht mehr gesehen hatte. eigendlich dachte ich, dass mama sie schon längst entsorgt hatte, da sie mir viel zu klein war, und auch sonst niemand da war, dem man sie hätte verschenken können.
aus reiner neugierde probierte ich das teil einmal an. oben drüber war nicht, aber nur mit meinem bh drunter ? ich probierte es gleich aus, irgendwie gefiel mir das, wie schön figurbetont sie saß. also entschied ich, gleich die latzi darüber zu zihen. so wollte ich dann los....
Plötzlich hörte ich Geräusche. Die Tür ging auf: Papa! Ach ja, der war ja auch noch da. "Nanu, wie siehst du denn aus?" Ich guckte ihn an: "Nicht gut?... hmmm". - "Wohin willst du denn noch?" fragte er. Ich druckste rum. "Naja", stammelte ich. "heut ist wieder Disko im Jugendzentrum." - "Bist du denn nicht noch krank?" fragte Papa. Ich antwortete: "Du, Papa, hab schon seit zwei Tagen kein Fieber mehr. Mir gehts richtig gut. Würd so gern mal raus hier und frische Luft und was anderes sehen. Außerdem hab ich mich die ganze Woche drauf gefreut. Darf ich?" Papa überlegte. "Was sagt Mama denn?" Mist! Ich senkte den Kopf. "Sie will, daß ich hierbleibe." gab ich leise zu. "Tja, dann kann ich es dir ja wohl schlecht erlauben." Ich wußte, daß er das sagen würde. Er fügte hinzu: "Ich wollte dir eben nur sagen, daß ich gleich zum Nachbarn rübergeh. Wenn was ist, weißt du ja wo ich bin." Ich nickte und er ging wieder. In der Tür drehte er sich aber nochmal um und ermahnte mich: "Aber nicht, daß du heimlich doch in die Disko gehst, verstanden?" - "Ja, Papa", sagte ich. "Ich warne Dich! Solltest du nachher weg sein, holst du morgen früh um 8 Uhr ne große Tüte Brötchen für uns alle von deinem Taschengeld! Hast du mich verstanden?" fragte mein Vater eindringlich mit ernster Miene. Ich sah ihn an. Hatte er nicht eben etwas gezwinkert? Ich war mir nicht sicher, sagte aber: "Ja, Papa!"
Nach kurzer Zeit hörte ich die Wohnungstür. Weil meine Schwester ja schon unterwegs war, konnte das nur mein Papa gewesen sein. Nun war ich allein. Ich schaute in den Spiegel. Sollte ich wirklich so gehen? Ich überlegte... So rennt keine rum! Aber ich nehm noch ne Sweatjacke mit, am besten eine ohne Kapuze.... Die alte Regenjacke als Bluse und die Reißverschlußlatzi.... *kicher* Ja, DAS war's! Nun noch die Haare etwas zurecht gemacht und etwas Schminke... was hat Big-Sister denn da so...? Dann ihre Regenjacke an und los...
Die Disko war schon in vollem Gang. Gute Mukke und viele Jungs... Ja, das war genau das richtige für mich... hoffentlich war Maurice auch da. Nach kurzer Zeit sah ich Frauke in meiner Kunstlederlatzhose. Sie paßte ihr total gut. Hatte immer gedacht, sie wär ihr zu klein... Frauke sah ziemlich irre aus damit. Die Jungs schauten ihr nach... Mist! Sie hatte mich noch nicht bemerkt. Ich beobachtete sie ne Weile, bis ich irgendwann merkte, daß auch ich interessiert angeschaut wurde... Aber wo war Maurice?
Ich hatte also Schwesterchen's Adidas - Jacke an der Garderobe aufgehängt, meine neue Kapuzen-Sweatjacke allerdings noch angelassen und war mitten rein ins Getümmel. Erst da wurde mir so richtig bewußt, dass ich zum ersten Mal überhaupt was über meiner Latzi an hatte und irgendwie kribbelte es in mir. Ich wußte ja schließlich was ich an hatte, aber die anderen? Und es reizte mich, in dem mir passenden Augenblick einfach meinen Reißverschluss aufzumachen und dann je nach Lust und Laune die Sweat-Jacke auszuziehen oder einfach offen an zu lassen.
Und ich sah, dass Frauke wohl ähnliches vor hatte - denn auch sie hatte ein Sweatshirt über meiner Leder-Latzi an - und ja, es war meine, ich erkannte sie sofort.
"Siehst scharf aus in meiner Leder-Latzi", sagte ich in einem ruhigen Moment zu ihr. "Ja", sagte sie. "Musste aber leider den Pulli drüberziehen, für unten drunter passte nur 'nen T-Shirt. Aber so kann ich wenn's mir zu warm wird, später den Pulli problemlos ausziehen!" Sie dachte also genauso wie ich, obwohl ich sonst überhaupt keine Probleme damit hatte, den Latz nicht zu verstecken. " Du heute mal nicht in Latzi?" wollte Frauke neugierig wissen. "Die neue Sweat-Jacke steht Dir übrigens prima!" Ich schwieg - wenn sie nur wüsste.
Dann entdeckten wir Maurice - mit seinen schulterlangen Haaren sah er wieder total süß aus. In der Schule sass er seit ein paar Wochen genau eine Reihe hinter mir und in den Pausen sah er mich in letzter Zeit immer so verlegen an. Ich hatte das Gefühl, als traute er sich nicht, mich anzusprechen. Maurice sah uns - und es kam mir so vor, als hätte er mir kurz zugeblinzelt.
Plötzlich bemerkte ich, daß mich Frauke forschend anschaute. "Was guckst du?" fragte ich sie. "Och nichts.", sagte sie. "Ich geh mal tanzen. Kommste mit?" Ich wollte noch nicht. Vielleicht kommt Maurice ja rüber, dachte ich. Frauke ging und ich überlegte, wie ich es anstellen soll, wurde aber unterbrochen. Ne andere Freundin sprach mich an. Wir quatschten etwas bis sie auch zur Tanzfläche ging. Ich suchte Maurice. Wo war er? Er war weg! Och nein...! Ich ließ mein Blick schweifen und dann traf mich doch der Schlag. Frauke hatte ihren Pulli ausgezogen, sie sah richtig klasse aus in meiner Kunstlederlatzhose! Sie sitzte perfekt. Die Jungs schauten ihr nach, aber sie war grad dabei, Maurice abzuschleppen. Hey, das ist mein Maurice! dachte ich. Und jetzt? Sie tanzten. Oh, Maurice kann ja überhaupt gar nicht tanzen... *kicher* Frauke guckte kurz verstolen zu mir rüber. Diese blöde Nuss! Leiht sich erst meine Top-Hose, um mir damit meinen Maurice wegzunehmen. Na warte!!!
Jetzt war die Stunde meines Auftritts gekommen! Ich zog meine Sweatjacke aus und ging mit meiner leicht glänzenden roten Regenjackenbluse und meiner Reißverschlußlatzhose drüber zur Tanzfläche zu. Ich merkte, wie manche Mädels kicherten, aber die Jungs kriegten ganz große Augen. Und darauf kam es schließlich an! Dann legte ich los mit tanzen. Maurice tanzte immernoch mit Frauke. Und damit er mich auch ja bemerkt (hatte er längst), rempelte ich ihn dabei leicht an, tanzte aber weiter. Ich behielt ihn im Auge. Ich merkte, daß er sich immer mehr für mich interessierte und nicht mehr so für Frauke. Frauke hatte mitbekommen, was ablief. Ich dachte, sie wär sauer - war sie aber gar nicht, sie grinste. Kurze Zeit später war Maurice bei mir und tanzte bei mir! Er lächelte mich an... oh, dieses Lächeln! Mir wurden fast die Beine weich. Ich schaute kurz zu Frauke rüber. Sie war an der Bar und schaute uns lächelnd zu. Wie sich später rausstellte, wollte sie mich provozieren, damit ich aktiv werd ... mit Erfolg... Nun tanzte dieser süße Maurice mit mir und strahlte mich an! Ooooh, war das schöööön! ...
“Und süss siehst Du heute wieder aus!” flüsterte er mir ins Ohr. „Wo hast Du bloss immer diese total abgefahrenen Klamotten her?“ wollte er wissen. „Die Kombination mit der Reißverschlusslatzi und Deiner alten Regenjacke sieht ja irre gut aus. Sowas würde Mama mir nie erlauben!“ sagte er und ich merkte, wie traurig er dabei war. Und Frauke sieht auch total klasse aus – habt Ihr jetzt beide ‘ne Lederlatzi?“
„Nein!“ beruhigte ich Maurice. „Sie hat sich meine nur ausgeliehen – sie hat halt solange gebettelt, bis ich endlich nachgegeben habe. Aber nochmal mache ich das auch nicht. Heute Abend bekomme ich sie wieder und dann werde ich sie nie wieder verleihen!“
„Och, schade, dass Du sie nicht mehr verleihst“, sagte Maurice verlegen, als hätte er drauf spekuliert, dass ich sie ihm als nächstes angeboten hätte. Nein, ich mochte meinen Maurice genau so, wie er nun vor mir stand und mit mir tanzte: Die schulterlangen Haare, die klassische, blaue five-pocket-Jeans, ein schlichtes, rotes Sweat-Shirt, beides nicht zu klein und nicht zu groß und dazu passend schwarze Turnschuhe mit weißen Streifen. Der Junge hat Geschmack was Klamotten angeht, obwohl er sicher in einer Latzi ähnlich gut aussehen würde.
Ein Gong läutete die letzte Runde Musik ein, noch eine Viertelstunde, dann wird auch dieser Diskoabend passé sein. Frauke hatte inzwischen ihren Pullover wieder drüber angezogen und hatte es sich an der Bar gemütlich gemacht. Maurice und ich tanzten noch bis zum Schluß und waren uns beide einig darüber, dass wir uns in der nächsten Woche mal nachmittags treffen wollten. Dann zog auch ich meine Sweat-Jacke wieder an und wir gingen zusammen zu Frauke, die an der Bar auf uns wartete.
Es war nun Zeit zu gehen und Abschied zu nehmen von Maurice. Wir zogen unsere Jacken an und gingen langsam nach draußen, wo es immer noch regnete. Ganz verlegen gab er mir einen Kuss auf die Wange und sagte „Tschüss bis Montag in der Schule!“ Ich freute mich und mir war jetzt schon klar, was ich am Montag anziehen würde.
Ich ging noch kurz mit zu Frauke, sie zog meine Jacke und die Kunstleder-Latzhose aus und sich einen alten grau-gelben Jogginganzug an. „Vielen Dank für’s Ausleihen“, sagte sie und drücke mir die Sachen wieder in die Hand. „Hat’s Dir denn nicht gefallen?“ fragte ich Frauke. „Doch schon!“ erwiederte sie, „war irgendwie schon ‘nen komisches Gefühl nach all der Zeit mal wieder ‘ne Latzhose zu tragen und dann noch eine aus Kunstleder. Aber ich glaub, auf Dauer wär das nix für mich...“
Ich nahm also die Klamotten wieder mit zu mir rüber und musste natürlich beim Nachhausekommen ausgerechnet Papa über den Weg laufen. Er grinste nur und ich wußte Bescheid – da war doch noch was. Ich machte mich fertig für’s Bett und war ganz aufgeregt, was die wohl morgen in der Bäckerei sagen würden, wenn ich dort in meiner Leder-Latzi erscheine. Ich wußte damit zu provozieren und war total schaf darauf, wie die Leute wohl reagieren würden...
Ich konnte lange nicht einschlafen wegen lauter Glück. Irgendwann schlief ich aber doch ein. Dann plötzlich wurde ich unsanft von lauter Popmusik aus dem Schlaf gerissen. Der Radiowecker! Och nein... ich hab so gut geschlafen! Nun muß ich auch noch Brötchen holen! Ich quälte mich aus dem Bett. Als ich mich frisch gemacht hatte, war die Müdigkeit weg. Ich zog den dicken Norwegerpulli und die Lederlatzhose an und ging los. Gut, daß es draußen nicht zu kalt war und Mama noch im Badezimmer war....
Als ich bei Bäcker wartete, bemerkte ich wie mich einige verstolen ankuckten. "Ja, schaut nur - so ne tolle Hose habt IHR nicht!" dachte ich. Dann endlich war ich dran. Die Verkäuferin kuckte auch im ersten Moment auf meine Hose, fragte dann aber höflich, was ich möchte. Als ich bezahlt hatte, sagte ein Mädchen neben mir: "Tolle Hose! Sag mal, wo hast du die denn her?" Ich schaute sie an und sagte, daß ich sie vom Flohmarkt habe. Sie schien enttäuscht zu sein. Ich glaub sie hätt sich auch gern so eine gekauft. Wir verabschiedeten uns und ich ging mit meinen Brötchen nach Hause.
Beim Frühstück fragte meine Mama: "So, und du warst also gestern doch in Disko?" - Ich druckste rum. "Ja, ich war da." Mama sah mich vorwurfsvoll an und sagte, daß sie es nicht gut findet, daß ich nicht gehorcht hab. "Aber da du ja nun so fit bist, kannst du mir heute vormittag in der Küche und beim Kuchenbacken helfen. Heute nachmittag kommen Oma und Opa." Oma und Opa? Was die wohl zu meiner Latzhose sagen? Mama in der Küche zu helfen das paßte mir gar nicht, aber protestieren half nichts. Außerdem war meine Laune viel zu gut. Meine Schwester merkte das und schaute immer wieder neugierig mich an, ich zwinkerte zu ihr. Damit hatte ich sie erst richtig neugierig gemacht. Sie holte mich nach dem Frühstück in ihren Zimmer. "Sandra, was ist los mit dir? Du siehst so glücklich aus!" Ich strahlte sie wortlos an. Sie fragte: "Du hast doch nicht etwa ...?" Ich strahlte noch mehr und nickte. "Wie heißt er... los, erzähl schon!" fragte sie begeistert. "Maurice!" und dann erzählte ich, was ich gestern erlebt hab. Sie freute sich und erzählte mir dann, daß sie gestern auch wieder in Disko war - in der großen und mit Latzhose - und ihren Lover auch wiedergetroffen hat. "Wissen Mama und Papa eigentlich?" fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. "Keine Sorge, von mir erfahren sie nichts." versprach ich. "Ich weiß! Ich verrat auch nichts!" sagte meine Schwester. "Sandraaaa!", hörte ich aus der Küche. Ich verdrehte die Augen. "Na, geh schon!", meinte meine Schwester lächelnd. Und so ging ich in die Küche Mama zum Backen helfen...
Es sollte leckeren Nusskuchen geben den Mama und ich – wie immer – frisch zubereiteten. Und als Mama den Kuchen in den Backofen schob, sah ich mal wieder richtig eingesaut aus. Zum Glück hatte ich ja meine Kunstleder-Latzhose an, da war es nicht so schlimm, dass ich aussah, wie von einer Mehlwolke eingehüllt. Außerdem kann man so schön seine dreckigen Finger an der Hose abputzen, macht ja bei Kunstleder nicht wirklich was. Ne normale Jeans wäre jetzt reif für die Waschmaschine, so brauchte Mama mir die entsprechenden Stellen nur mit einem feuchten Lappen wieder abzuwischen.
„Hast Dich ja mal wieder prima eingesaut. Gut, dass ich die so einfach abwischen kann. Ist ja echt praktisch, das Teil. Du musst Dich übrigens gleich noch umziehen!“, meinte Mama zu mir. „Du ziehst bitte die pinkfarbene Schlaghose von Oma an, die müsste ja noch prima passen. Ok?“ Autsch, nun hatte ich ein echtes Problem. Wie sollte ich es Mama beibringen und hoffentlich stellt Oma keine blöden Fragen. Schließlich hatte ich das Ding nie gemocht und letztens bei der Altkleidersammlung mit entsorgt, obwohl sie sicherlich noch gepasst hätte.
„Das wird schwierig...“ meinte ich etwas bedrückt. „Die hab ich nicht mehr, die ist letztens im Altkleidersack gelandet – Du weißt doch, dass ich die nicht leiden mochte. Pink war früher mal in – ist aber noch nie meine Farbe gewesen und dann noch ‘ne Schlaghose. Konnte ich doch noch nie leiden. Darf ich nicht meine Leder-Latzi anlassen? Bin gespannt, was Oma dazu sagt!“
„Sag‘ mal hast Du sie nicht mehr alle?“ schimpfte Mama, und ich spürte, dass sie richtig sauer war. „Die kannst Du doch nicht einfach mit wegschmeißen, hättest doch wenigstens was sagen können. Beim nächsten mal müssen wir dann wohl doch wieder gemeinsam aussortieren.“ „Das hätte auch nichts geändert – ich hab‘ mir das Teil weder gewünscht noch jemals behauptet, dass ich Pink mag. Und Oma muss auch mal lernen, dass ich kein kleines Kind mehr bin, was das anzieht, was man mir rauslegt. Ich hab‘ halt meinen eigenen Geschmack, und zur Zeit mag ich halt am liebsten Latzhosen. Die können auch ruhig gebraucht sein, nicht schlimm. Wenn Oma also fragen sollte, was ich mir zu Weihnachten wünsche...“
„Ja nee, ist klar! Damit Du die Sachen dann in den Sack stopfst, weil Dir was nicht gefällt. Das kannste ja wohl vergessen. Oma mag keine Latzhosen und Lederhosen erst recht nicht. Ich durfte jedenfalls in Deinem Alter keine mehr tragen, obwohl ich die damals auch toll fand. Was meinst Du, warum Du sie heute noch anziehen darfst – obwohl ich Deine alten Dinger auch am liebsten in den Sack stopfen würde. Das weißt Du ja sicher – ist ja nichts neues. Aber wie Du meinst – von mir aus lass sie an, Oma wird schon was passendes sagen!“, sagte Mama und nahm einen feuchen Lappen und wischte mir die schmuddeligen Stellen ab. „Die ist ja doch schon reichlich vermackt inzwischen.“ grinste Mama und zeigte auf ein paar abgenutzt Stellen. „Danke Mama“, sagte ich. „Die paar Macken und Kratzer stören mich überhaupt nicht. Die ist ja auch schon alt und ich zieh sie immer noch total oft und gerne an. Da werden im Laufe der Zeit auch noch welche dazu kommen. Und solange sie noch passt, werde ich sie auch noch anziehen!“
Nächsten Winter wird sie ja wohl noch passen. Sie wird dann am Bauch endlich richtig knackig eng sitzen – mir war sie jetzt immer noch deutlich zu weit. Und dann brauch ich sie auch endlich nicht mehr umkrempeln, hoffte ich. Ich war gespannt, was Oma wohl zu meiner Kunstleder-Latzhose sagen würde. Schließlich hatte sie die ja noch nicht gesehen...
Also behielt ich die Kunstlederlatzhose an. Als Oma und Opa kamen und mich sahen, warf Oma zu Mama einen vorwurfvollen Blick. Aber sie sagte nichts. Die beiden freuten sich, uns wiederzusehen. Zu Kaffee und Tee wurde unser Nußkuchen angeboten. Der sah super aus. Das fanden auch Oma und Opa. Als wir schon alle saßen, fiel auf, daß wir Süßstoff vergessen hatten. "Sandra, geh doch bitte mal schnell, das Süßstoff holen.", bat mich Mama. Die Kleinste natürlich - wer sonst. So stand ich auf und holte es.
Als ich wiederkam schaute mich Oma prüfend von oben nach unten an. "Wie siehst du denn eigentlich aus? Kannst du nicht was vernünftiges anziehen?" Ich schwieg, denn ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Oma wandte sich zu Mama: "Und ich war immer so froh, daß du deinen Töchtern immer was hübsches angezogen hast. Nicht so wie deine Schwester, die damals ihre Kleine in diese ekelhaften Hosen gesteckt hat aus ... wie hieß das Zeug noch... na irgendsoein Kunstleder." Mama fragte: "Ach, du meinst die roten und blauen und grünen Latzhosen mit dem Reißverschluß vorne?" - "Ja, genau die. Die Kleine lief bald jeden Tag in diesen ollen Dingern rum... Wie oft habe ich deiner Schwester gesagt, sie soll diese Lappen bloß in den Müll stopfen und der Kleinen was Vernünftiges anziehen! Es gibt so schöne Kinderkleidung!" Mama antwortete: "Ich fand die Hosen zwar auch ziemlich häßlich, aber ich habe ja gesehen, wie praktisch sie sind. Ihre Tochter konnte sich einsauen ohne Ende. Ein Wisch und sauber. Ich hatte immer einen Riesen-Wäscheberg!" Nun schaltete sich überraschend meine Schwester ein: "Und warum hast du uns dann keine gekauft? Ich hätte die gern gehabt!" Oma fielen fast die Augen aus dem Kopf: "Duuu????" Meine Schwester wurde rot. Mama sagte verwundert: "Aber Du hattest doch eine! Außerdem gab es die Hosen nicht mehr. Keine Ahnung, wo deine Tante die herhatte." Bevor meine Schwester was sagen konnte, sagte Oma wieder was: "Na zum Glück! Und was Sandra anbelangt, sie ist jetzt kein kleines Kind mehr und saut sich nicht mehr ein. Also braucht sie auch nicht in Kunstlederhose rumlaufen." Ich wechselte mit Mama Blicke... jaja, die Backaktion vom Morgen. Mama antwortete: "Meine Kinder dürfen anziehen, was ihnen gefällt. Sie sind alt genug." Ich war platt! Mama stellt sich hinter uns. Oma gab zurück: "Aber wie sieht das denn aus? Die Hose ist ja schon abgenutzt und sieht ziemlich schäbig aus! Heute ist schließlich Sonntag! Und sonntags zieht man seine guten Sonntagskleider an! Was sollen denn die Leute denken? Sandra bringt noch Schande über die ganze Familie!" Mama sah mich mich vorwurfsvoll an, doch bevor sie was sagen konnte, sprach Opa: "Ach, komm laß doch! Das ist heutzutage nicht mehr so wie zu unserer Zeit. Man hat heute andere Statussymbole." Oma antwortete scharf: "Es macht auch heute keinen guten Eindruck, wenn die Kinder schäbig rumlaufen! Das fällt alles auf uns zurück!" Opa antwortete ruhig: "Wir sind doch unter uns. Und ich besuche lieber eine fröhliche Sandra und nicht eine Sandra, die sich unwohl fühlt, weil sie Sachen tragen muß, die sie nicht mag." Oma war sauer und gab zurück: "Sag du bloß, dir gefällt Sandras Aufzug!" Opa lächelte spitzbübisch und meine: "Och, joaa, ich finde, die Hose steht ihr ganz gut." Oma war empört und rang nach Worten, hielt dann aber inne und schüttelte dann nur noch den Kopf. Ich glaub, Opa wollte das. Ich jubelte Opa innerlich zu. Ich hätte ihn umarmen können, sah ihn aber nur an. Er zwinkerte zu mir und meinte: "Euer Kuchen ist übrigens ganz ausgezeichnet! Probier den mal!" Oma sagte gar nichts mehr sondern nahm einen Süßstoff. Damit war das Thema Klamotten beendet und auf die rosa Schlaghose kamen wir auch nicht mehr zu sprechen. Zum Glück!
Nach dem Abendbrot fuhren Oma und Opa wieder nach Hause und ich hatte wieder Zeit, von meinem lieben Maurice zu träumen. Ach Maurice.... Was wird wohl morgen in der Schule sein... mein Bauch kribbelte ganz seltsam... so aufgeregt war ich schon lange nicht mehr....
__ hmmm... ist das realistisch? Ich hoff das. Und daß alles richtig ist. War wieder ne Gemeinschaftsarbeit. Besonders bei was Oma und Opa denken und was sie sagen kommt hauptsächlich von ner lieben Freundin. Lieben Dank Dir! Hätt das nicht hingekriegt so allein.